Pseudo Stereo SID

[GO64!, Jahrgang 2002, Nr. 10, Seite 8 - 9]*

Ein Stereoklang der anderen Art

(wte) Die folgende Geschichte zeigt uns, dass manche Erfindungen nicht erfunden sondern gefunden werden. Was immer dann der Fall ist, wenn der Erfinder etwas erhält mit dem er nicht gerechnet hat, was sich aber trotzdem als (mehr oder weniger) nützlich erweist.

Schon auf der Hobby und Elektronik 2001 in Stuttgart hatte ich die Gelegenheit Skerns Pseudo-Stereo-SID (PSS) zu bewundern. Und bewundern ist der richtige Ausdruck, denn es grenzt schon an ein kleines Wunder, wie man ohne Stereomusik zu einem Stereoklang kommt. Die Geschichte, die hinter dem PSS steht ist aber fast genauso kurios wie das musikalische Erlebnis das er bietet.

Angefangen hatte alles - wie bei den meisten Erfindungen - mit einem Problem. Dirk benutzt seinen CD-ROM-Player, den er an einer CMD Festplatte betreibt, als Musik-CD-Player. Am Audio-Ausgang seines C128 hängt zudem ein Paar Aktivboxen, um Computermusik auf seinem Rechner mit dem gebotenen Klang abspielen zu können. Um die Boxen auch für den CD-Player nutzen zu können, führte er dessen Stereosignal über den SID-Analog-Eingang hinein und über den Ausgang wieder hinaus. Das Ergebnis war - natürlich - ein Mono-Sound. Und folglich unbefriedigend.

Ein Stereo-SID musste her. Dieser wurde, nachdem ein klanglich passender zweiter SID-Baustein gefunden worden war, fix zusammengebastelt und installiert. Zwei SIDs bedeuten zwei Audio-Eingänge und zwei Ausgänge. Einem vollendeten Stereosound stand nichts mehr im Wege. CD-Player und Stereo-SID lieferten das erwartete Klangerlebnis. Als Zugabe konnte nun auch der volle Klang von Stereo-Tunes genossen werden.

Die Ernüchterung kam, als der erste Mono-Tune gespielt wurde, denn die Musik schallte nur noch aus einem Lautsprecher. Man kann halt nicht immer alles haben. Eine neue Lösung musste her. Folgende Überlegungen wurden angestellt: (a) die CD-Musik muss in Stereo gespielt werden. (b) Mono-Tunes müssen aus beiden Lautsprechern kommen. (c) Stereo-Tunes müssen nicht sein, denn sie sind exotisch und es gibt nur wenige davon.

Aus (a) folgte die Verwendung zweier SIDs, aus (b) die Notwendigkeit diese über die selbe Adresse anzusprechen. Das Ergebnis war ein Doppel-SID. Zwei SIDs übereinander, sozusagen Huckepack, an den gleichen Adress- und Datenleitungen. Nicht verbunden wurden nur die Audio Ein/Ausgänge und die A/D-Wandler. Außer ein bißchen Elektronik für die Verstärkerstufe des zweiten SIDs waren keine weiteren Umbauten notwendig. Für den Computer war es wie ein SID mit zwei Audio-Ein und Ausgängen.

Alles schien perfekt. Aus den Boxen röhrte Stereomusik vom Player und Monosound vom C128. Doch dann traten seltsame Erscheinungen auf. Es waren allerdings keine hörbaren sondern sichtbare Erscheinungen. Die Maus, unentbehrliches Werkzeug unter GEOS, spielte verrückt. Das war auch kein Wunder, denn die Maus war am original-SID angeschlossen, der beim Lesezugriff entsprechende digitale Werte über die Datenleitung ausgab. Auf der gleichen Datenleitung lieferte zeitgleich auch der zweite SID (ohne Mausanschluss) seine Werte. Chaos war vorprogrammiert.

Da der zweite SID nur beschrieben werden musste, um Musik zu erzeugen und ein Lesezugriff eigentlich nicht benötigt wurde, wurde die Schreib-Lese-Leitung (RW) kurzerhand auf  Low Level (0V, Masse) gelegt. Nun konnte nur noch der original-SID ausgelesen werden. Störungen durch den Zweiten SID waren ausgeschlossen. Folgerichtig machte die Maussteuerung keinerlei Probleme mehr.

Und jetzt kommt endlich die Stelle, wo die Erfindung gefunden wird. Beim Abspielen von Mono-Tunes treten nach dieser letzten Änderung seltsame Erscheinungen auf. Irgendwie ist der Gleichklang von rechtem und linkem Lautsprecher nicht mehr gegeben. Fast hat man den Eindruck eines Stereoklanges. Der Sound wird "breiter". 

Interessant ist, dass das Klangerlebnis stark von der Musik selbst beeinflusst wird. Es gibt Musikstücke, die klingen mit dem Pseudo-Stereo-Effekt einfach fett! Andere wieder stecken voller Disharmonien. Warum mache Musikstücke so oder so reagieren ist noch völlig unklar. Es mag an der Art der jeweiligen SID-Programmierung oder an der Wahl der Harmonien liegen. Musiktheoretiker sind aufgerufen sich hierzu zu Wort zu melden. Tatsache ist, dass die meisten Stücke durch den Doppel-SID an Klangfülle gewinnen, er ist also eine lohnende Spielerei.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage, wie es zu diesem seltsamen Effekt kommen kann. Und vermutlich erklärt die Antwort schon einen Teil der unterschiedlichen Reaktion verschiedene Tunes auf diese interessante SID-Modifikation. Der zweite SID kann nicht mehr ausgelesen, aber durchaus beschrieben werden. da seine RW-Leitung ständig auf LOW liegt, benutzt er jedes Signal auf der Datenleitung als Input. Wird nun ein Register des original-SIDs (SID 1) beim Abspielen einer Musik ausgelesen, gelangen diese Daten auf den Datenbus und schwups werden sie vom zweiten SID (SID 2) als Input benutzt. Jeder Lesezugriff auf SID 1 wirkt sich also als Schreibzugriff auf SID 2 aus. Es ist nachvollziehbar, dass nun, je nach Registerzustand des zweiten SIDs, die seltsamsten Erscheinungen möglich sind.

Wer eine genaue Erklärung der Phänomene rund um den Doppel-SID geben kann, ist herzlich aufgefordert sein Wissen der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Für all jene, die kein Interesse an der tonlosen Theorie sondern mehr an der klangvollen Praxis haben, ist die in diesem Heft abgedruckte Bauanleitung für einen PSS zu empfehlen.

Der, der es gehört hat, kann es bezeugen: Es ist wahrhaftig ein lohnendes Erlebnis!

* Text: Dr. Reinhard Kratzberg, Design und Technik: Skern

Teileliste für den Pseudo-Stereo-SID
1 x  SID (alt oder neu, passend zum existierenden)
1 x  NPN Transistor (PN2222, BC547 oder BC237)
2 x  1 k Ohm ¼ Watt Widerstand
2 x  10 k Ohm ¼ Watt Widerstand
2 x  10 µF Kondensatoren (25V), gepolt
2 x  1000 pF Kondensatoren
2 x  2200 pF Kondensatoren
3 x  IC-Sockel mit 28 Pin (normal)
Befestigungsmaterial, Draht und Buchsen/Stecker

 
Bauplan für den Pseudo-Stereo-SID
[Button: SID Bauplan]
[Bitte klicken zum Vergrößern]
Design: Skern

 
Hinweise
Bitte nicht an den SIDs rumlöten, immer Sockel verwenden. Der zweite SID (SID 2) wird huckepack auf dem ersten aufgesteckt, die gesondert zu verdrahtenden Beinchen sind am Sockel vorher seitlich abzubiegen. Der pseudo Stereoeffekt kann manchmal zu Disharmonien führen. Werden PIN 8 von SID 1 und SID 2 nicht direkt verbunden, sondern wird die gestrichelt eingezeichnete Lösung mit einem Schalter verwendet, dann kann durch Verbinden der CS-Leitung mit HIGH (+5V) der Schreibzugriff auf den zweiten SID stillgelegt werden. Der pseudo Stereoeffekt verschwindet.

 

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Erstellt von WTE, am 10. Mai 2004; überarbeitet am 10. Mai 2004