Videorecorder als Datenspeicher

[GO64!, Jahrgang 2005, Nr. 4, Seite 16 - 17]

Backups und Datentransfer mittels Videoband (Teil 1)

Wie der gute alte analoge Videorecorder als Datenspeicher für den C64 zu ungeahnten Ehren kommt

(wte) Die Rettung alter Datenbestände ist ein ständiges Problem. Wenn die ersten Bits kippen, heißt es SOS oder besser: SOD (save our data). Die üblichen Methoden, um Datenbestände zu retten, sind oft beschrieben worden [1]. Kopieren via Diskette oder Diskettenlaufwerk, Kabel zwischen C64 und PC und was es sonst noch für Speziallösungen geben mag.

Leider sind moderne PCs immer seltener mit Druckerschnittstellen ausgestattet, die einen Anschluss eines CBM-Laufwerks gestatten und nicht jeder hat eine 1581 oder FD2000, um Daten via 3,5-Zoll-Diskette zu transferieren. Doch mittels moderner Technik eröffnet sich jetzt eine weitere Methode, um alte Datenbestände vor der Vernichtung zu bewahren.

Die hier vorgestellte Lösung kann auch denen helfen, die keinen vollfunktionsfähigen Massenspeicher mehr haben und deshalb ihren alten Datenbeständen keine Frischzellenkur (durch Umkopieren) mehr ermöglichen können. Die Datasette ist defekt? Das Diskettenlaufwerk verursacht beim Schreiben nur Fehlermeldungen? Alles kein Problem, solange man die Daten noch irgendwie lesen kann.

Die Datenrettung auf Videoband ist so simpel wie genial. Der C64 verfügt bekanntlich über ein Composite- und ein S-Video-Signal (Chroma/Luma); letzteres bietet eine bessere Bildqualität. Um die Programmdaten für die Nachwelt zu retten, ist es nur notwendig, diese mittels LIST (Basicprogramme) oder dem List-Kommando eines Monitors (für HEX-Listings) auf dem Bildschirm auszugeben [man wähle einen hohen Farbkontrast zwischen Text und Hintergrund]. Natürlich ist zuvor der Videorecorder anzuschließen und auf Aufnahme zu stellen. Das Listing landet nun als Videobild auf dem Band und kann später auch jederzeit am Fernsehgerät betrachtet werden. Für Besitzer einer SuperCPU gilt dabei natürlich, dass sie diese deaktivieren müssen, denn auf einem 20-MHz-Listing ist außer weißem Rauschen nicht viel zu erkennen und ums Erkennen geht es im zweiten Teil des Datenrettungsprozesses.

Man mag Einwenden, dass es unmöglich sei, die analogen Daten wieder einem Computer als binäre Information zugänglich zu machen und das ist auch wahr, wenn man es auf einen C64 bezieht. Denn um die Daten wieder in den C64 zu bekommen, müsste man den Videorecorder auf Standbild stellen und die Programmlistings vom Fernsehbildschirm abtippen  (und abtippen, das kennen wir von früher, ist seeehr mühsam). Eine Empfehlung, auf diese Art "Datenrettung" zu betreiben, könnte man daher nur als (schlechten) Aprilscherz bezeichnen.

Die nötige Rechenpower, um aus dem Video wieder ein Programm zu generieren, liefert ein PC. Schon seit Jahren ist OCR (Optical Character Recognition=Optische Zeichenerkennung) für eingescannte Textdokumente eine alltägliche Methode, um analoge Bilddaten in Binärinformationen (Computertexte) umzuwandeln. Doch wenig beachtet von der Öffentlichkeit werden schon seit den Neunzigern Anstrengungen unternommen, um Texte aus laufenden Fernsehsendungen zu extrahieren. Beispiele sind hierfür Sportinformationen (Spielernamen, Spielstände) [2], Nachrichten und Börseninfos (Newsticker) [3]. Diese neue Video-OCR Technologie analysiert den Bildhintergrund und ermittelt die Bildbereiche, die Textinformationen enthalten (siehe Abbildung 1 [4]). Diese werden dann mit komplexen Algorithmen für die Texterkennung optimiert und auch unter Zuhilfenahme von Wörterbüchern in Textinformation umgewandelt. (Wer sich mit den Grundlagen zum Thema Video-OCR tiefer auseinandersetzten will, dem sei der Artikel "Video OCR: A Survey and Practitioner's Guide" [5] von Professor Dr. Rainer Lienhart von der Universität Augsburg empfohlen.)

Für unsere C64-Programmlistings ist diese Texterkennung viel einfacher, da hier ein einfarbiger Hintergrund vorausgesetzt werden kann. Zusätzlich berücksichtigen muss man nur die relativ hohe Scrollgeschwindigkeit, was jedoch bei ausreichend kontrastreichen Bildern unproblematisch ist. Der letzte Schritt, die Umwandlung der Rohtextdaten in Programme, ist dann nur noch eine Formalie.


[Diagramm des Video-Text Extraktionsalgorithmus]
 
Abbildung 1: Diagramm des Video-Text Extraktionsalgorithmus [4]

Welche Software für die einzelnen Schritte der Datenrettung benötig wird und welche Parametereinstellungen die besten Ergebnisse liefern, wird im zweiten Teil dieses Artikels behandelt, der im nächsten Heft erscheinen wird.

Zum Schluss sei noch ein kleiner Exkurs zur Datensicherheit erlaubt: Nachdem neuere Untersuchungen der PC-Welt [6] gezeigt haben, dass selbstgebrannte CDs schon nach drei Jahren in den Außenbereichen ihre Daten verlieren und damit noch unsicherer sind als 3,5-Zoll-Disketten (es lebe die fast unverwüstliche 5,25-Zoll-Schwabbeldisk!), muss man sich besorgt fragen, wie unsere heutigen riesigen Datenbestände in die Zukunft gerettet werden können. Bei CDs sind Bitfehler das Ende, für die analogen Videobänder sind ein paar fehlende Bildinformationen letztlich irrelevant. Vielleicht sollte man daher auch nach dem Datentransfer auf den PC die CeVi-Programmlistingvideos (nur so zur Sicherheit) noch ein Weilchen aufheben.

[1]
Eine Zusammenfassung verschiedener Methoden zum Datentransfer und weitere Links finden sich hier: http://www.c128.net/infos/interconnect.htm
[2]
"Video OCR for Sport Video Annotation and Retrieval", Datong Chen and Hervé Bourlard, August 2001, http://www.idiap.ch/publications/chen-rr-01-28.bib.abs.html [direkter Link: ftp://ftp.idiap.ch/pub/reports/2001/rr01-28.pdf]
[3]
"Video OCR: Indexing Digital News Libraries by Recognition of Superimposed Caption", T. Sato, T. Kanade, E. Hughes, M. Smith, and S. Satoh, ACM Multimedia Systems Special Issue on Video Libraries, Februar, 1998, http://www.ri.cmu.edu/pubs/pub_2723.html [direkter Link: http://www.ri.cmu.edu/pub_files/pub2/sato_toshio_1998_1/sato_toshio_1998_1.pdf]
[4]
Diese Grafik wurde entnommen aus: "Integrating Visual, Audio and Textanalysis for News Video", Wei Qi, Lie Gu, Hao Jiang, Xiang-Rong Chen and Hong-Jiang Zhang, Microsoft Research, China, http://research.microsoft.com/research/pubs/view.aspx?pubid=891 [direkter Link: http://research.microsoft.com/china/papers/Integrating_Visual_Audio_Text_Analysis.pdf]
[5]
"Video OCR: A Survey and Practitioner's Guide", Rainer Lienhart, Video Mining, Kluwer Academic Publisher, pp. 155-184, Oktober 2003, http://www.lienhart.de/Publications/Chapter_for_VideoMining-final.pdf [mehr Literatur zum Thema: http://www.lienhart.de/Publications/publications.html]
[6]
http://www.pcwelt.de/know-how/software/15858/index.html

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Erstellt von WTE, am 01. April 2005; überarbeitet am 01. April 2005